Vor vier Jahren haben wir uns beim gemeinsamen Reisen in Mittelamerika kennen gelernt. Seitdem können wir unsere Erlebnisse dort, die herzlichen Menschen, die unglaublich reiche Natur, die Musik und das Gefühl zu reisen einfach nicht vergessen. Und das wollen wir auch gar nicht. Nur eins steht fest: Wir müssen noch einmal nach Lateinamerika, denn einmal angefangen, ist das Reisen fast so etwas wie ein inneres Gesetz, man könnte es auch Fernweh nennen. Das ist einfach da, mal mehr, mal weniger und es hört erst wieder auf, wenn wir wieder da stehen, am Flughafen wie Schildkröten mit unseren Rücksäcken auf dem Rücken und dem Flugticket in der Hand, unsere Eintrittskarte in das Unbekannte. Dann sind wir nicht mehr Ingenieur oder Student. Dann sind wir Reisende, alles andere verschwimmt allmählich. Die Hektik und der Alltag liegen hinter uns und es ist, als würden wir ein Teil der Welt neu entdecken. Diesmal haben wir uns für Kolumbien und Peru entschieden. Semper, der selbst längere Zeit in Kolumbien gereist ist, beschreibt das Gefühl zu reisen so: „Ich konnte die fest geschriebenen und fest zementierten Denkgewohnheiten meiner Welt hinter mir lassen. Das tägliche Grauen aus hetzenden Menschen, Supermärkten, Verkehrsstaus, Parkplatzsuche, Handyklingeln und Fernsehbildern lag unendlich weit hinter mir. Amazonien war das Land, dem ich mich auslieferte. Alles war direkt, ohne Filter. Alles entstand neu." Drei Monate konnten wir uns diesmal frei nehmen. Diese Zeit liegt jetzt noch unbekannt vor uns und wir sind gespannt, mit welchen Erlebnissen sie sich diesmal füllen wird...

Sonntag, Dezember 17, 2006

Viajando - Unterwegs im Choco

Zur Pazifikküste und hinauf in den Norden liegen noch einige Kilometer vor uns, aber auch viele neue Erlebnisse und Begegnungen. Alles was der Lateinamerikareisende braucht ist Geduld - "tranquillo", irgendwann wird man schon ankommen. So nehmen wir es auch "tranquillo" als unser Bus von Cali zu dem Küstenort Buenaventura nach einer Stunde rasanter Fahrt plötzlich alle fünf Minuten neues Öl braucht, das er sehr zum Missfallen des Busfahrers sogleich wieder fein säuberlich auf die Strasse verteilt. Abwechselnd fluchend und ölverschmiert unter dem Bus liegend oder optimistisch auf die Passagiere einredend versucht der Busfahrer einerseits den Bus zu reparieren und andererseits die Flucht seiner Passagiere zu verhindern. Nach einer weiteren halben Stunde spuckt der Motor immernoch Öl und die Passagiere sind alle geflohen, bis auf zwei Gringos deren Rucksäcke so gut eingeschlossen sind, dass sie immernoch im Bus festsitzen. Doch irgendwann haben auch wir einen anderen Bus gefunden, der uns durch die satte grüne Landschaft fährt. Wie im Film ziehen an uns die Gesichter der bewaffneten Soldaten vorbei, welche die Strasse sichern da in der Gegend noch immer Guerillagruppen aktiv sind.

Vor dem Ort Buenaventura wurden wir von vielen Seiten gewarnt: "Wenn sie euch nicht umbringen, werden sie euch ausrauben," ist die wenig optimistische Prognose eines Mannes, den wir im Bus treffen. Buenaventura hat im ganzen Land einen sehr schlechten Ruf, nicht nur wegen der Anwesenheit der Guerilla und Paramilitärs in der Umgebung, sondern auch wegen der herrschenden Gewalt, den Alkoholismus und der Armut. Darum wollen wir uns dort auch nicht lange aufhalten und haben noch für den selben Tag eine Reservierung für ein Schiff. Doch am Frachthafen erfahren wir, dass das Schiff erst am nächten Abend auslaufen würde, da noch Fracht fehle. Aber wann legt ein Schiff hier auch schonmal pünktlich ab... Also laufen wir durch die schmucklosen Strassen Buenaventuras, wo das Leben ganz anderes aussieht als im Hochland. Plötzlich sind fast alle Menschen schwarzhäutig, gross und sprechen einen komischen Dialekt. Auch wenn die Häuser ziemlich heruntergekommen sind, die Bewohner sind nett, aus den Bars klingt Salsamusik und an der Strandpromenade trifft sich am Wochenende alles, um Rum zu trinken, zum Sehen und Gesehen werden. Hauptsache kurz und eng ist die Devise bei den Frauen hier und wenn der Po noch so rund ist, Stretch "passt" immer, stellen wir grinsend fest.

Und als wir abends zum Hafen zurück kehren um die Nacht auf dem Schiff zu verbringen sind wir uns einig, dass selbst das als gefährlich geltende Buenaventura nicht dem düsteren Bild entspricht, das in unseren Ländern von Kolumbien vermittelt wird. Das Leben in Kolumbien hat einen normalen Ablauf, die Leute sind aussergewöhnlich freundlich und offen, das Land wirkt nicht zuletzt wegen des lukrativen Drogenhandels insgesamt recht gut entwickelt und modern. Einzig die vor allem hier im Choco vermehrte Anwesenheit von Militär erinnert daran, dass die Sicherheit, die in den meisten Regionen des Landes herrscht nicht natürlich ist. Die am meisten Betroffen der ewigen Kämpfe zwischen Militär, Paramilitär und Guerilla sind die "Desplazados", die Heimatlosen, die einzelnen Familien aus den dünn besiedelten Regionen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden und ohne Hab und Gut in den Städten keinen neuen Anfang finden.

Auf dem Schiff stellen wir schnell fest, dass die Zeit der ruhigen Amazonasdampfer mit den Hängematten nun vorbei ist. Das Frachtschiff hat einige enge sechs Mann Kabinen und schon von weitem sieht man Janas Nase aus der Schiffsluke gucken, die sich dankbar die einzige Koje mit Ausblick gesichert hat. Der Abend wird aber lustig. Die ausser uns bisher einzige Passagierin packt eine grosse Flasche "Aguardiente" aus, die der diensthabende Matrose auf der Schiffsbrücke grosszügig verteilt. Aus den Lautsprechern seines CD- Players tönt lauter Vallenato, Salsa und Cumbia in die Nacht, jedes Lied wird entsprechend lautstark bewertet. Abends um zehn stehen die Beiden dann schon ziemlich angetrunken und zufrieden kichernd in der Schiffsküche um sich ein "Pescadito" zu brutseln.

Nach einem Tag Zeit totschlagen und der einen oder anderen Stunde zusätzlicher Verspätung legen wir nachts um ein Uhr mit dem Eintreffen der Nachtflut endlich ab. Auf dem Schiff herrscht richtige Urlaubsstimmung, da über Weihnachten viele Kolumbianer in die Ferien fahren oder zu Besuch zurück nach Hause gehen. Am nächsten Morgen stellen wir schon ziemlich grün im Gesicht fest, dass dieses Geschaukel eigentlich nur im Liegen auszuhalten ist und so verbringen wir dann auch die nächsten zehn Stunden auf dem Pazifik. Nachts kommen wir endlich in dem kleinen Ort Bahia Solano an und nach einer weiteren Übernachtung auf dem Schiff rattern wir im voll bepackten Kleinbus über die verschlammte Buckelpiste ins Nachbardorf. Doch es kommt was kommen musste, wir stecken plötzlich tief im Schlamm fest. Da hilft auch kein Geschaufel und Geschiebe mehr, also wird der Bus kurzerhand von einem LKW rückwärts aus dem Matsch geschoben. Und so erreichen wir irgendwann doch noch unser Ziel, den abgelegenen Küstenort "El Valle".

Keine Kommentare: