Vor vier Jahren haben wir uns beim gemeinsamen Reisen in Mittelamerika kennen gelernt. Seitdem können wir unsere Erlebnisse dort, die herzlichen Menschen, die unglaublich reiche Natur, die Musik und das Gefühl zu reisen einfach nicht vergessen. Und das wollen wir auch gar nicht. Nur eins steht fest: Wir müssen noch einmal nach Lateinamerika, denn einmal angefangen, ist das Reisen fast so etwas wie ein inneres Gesetz, man könnte es auch Fernweh nennen. Das ist einfach da, mal mehr, mal weniger und es hört erst wieder auf, wenn wir wieder da stehen, am Flughafen wie Schildkröten mit unseren Rücksäcken auf dem Rücken und dem Flugticket in der Hand, unsere Eintrittskarte in das Unbekannte. Dann sind wir nicht mehr Ingenieur oder Student. Dann sind wir Reisende, alles andere verschwimmt allmählich. Die Hektik und der Alltag liegen hinter uns und es ist, als würden wir ein Teil der Welt neu entdecken. Diesmal haben wir uns für Kolumbien und Peru entschieden. Semper, der selbst längere Zeit in Kolumbien gereist ist, beschreibt das Gefühl zu reisen so: „Ich konnte die fest geschriebenen und fest zementierten Denkgewohnheiten meiner Welt hinter mir lassen. Das tägliche Grauen aus hetzenden Menschen, Supermärkten, Verkehrsstaus, Parkplatzsuche, Handyklingeln und Fernsehbildern lag unendlich weit hinter mir. Amazonien war das Land, dem ich mich auslieferte. Alles war direkt, ohne Filter. Alles entstand neu." Drei Monate konnten wir uns diesmal frei nehmen. Diese Zeit liegt jetzt noch unbekannt vor uns und wir sind gespannt, mit welchen Erlebnissen sie sich diesmal füllen wird...

Samstag, November 11, 2006

Unterwegs nach Machu Picchu

Unser gefährlich schaukelnder Autobus schlängelt sich mühsam die schmale Serpentinenstrasse hinauf. Die alte Indiofrau neben uns schiebt sich mit den schmutzigen Händen ihren Reis mit Hühnchenkeule in den Mund, schmatzt genüsslich, putzt sich die Hände an ihrem Rock ab und schmeisst den Plastikteller aus dem Fenster. Es ist kalt und regnet. Die Heizung funktioniert natürlich nicht. Wir sind unterwegs auf der Strasse von Cuzco nach Santa Maria (Quambaba) in Richtung Machu Picchu, der berühmten Inkastadt, nicht gerade auf dem direkten Weg, aber sicher auf dem Interessanteren. Nachdem wir in Cuzco inmitten unter anderen Touristen den horrenden Preis von 70USD pro Person für die Busfahrt nach Machu Picchu erfahren hatten, stand für uns fest, dass wir eine andere Möglichkeit finden wollten dorthin zu gelangen. Strassen bis Aguas Calientes, dem kleinen Ort unterhalb Machu Picchus, gibt es nicht. Aber wozu hat der Mensch Beine!

Ersteinmal liegt aber die lange Busreise vor uns, über einen 4600m hohen Pass und mal wieder als einzige Touristen staunend unter den Einheimischen. Als Jana ihre Colaflasche oben auf dem Gepäckfach verstauen möchte, wird sie plötzlich von der weissen Tüte nebenan angegackert. Da haben wir also wieder unseren Chickenbus, allerdings etwas eleganter als damals in Nicaragua, da Huhn heute mit Tasche reist. Übel wird dem armen Tier aber offensichtlich doch, was dann der weniger feine Geruch von Richtung Gepäckfach vermuten lässt. Da der Busfahrer von Pinkelpausen nicht viel hält, wird das drei Jahre alte Mädchen kurzerhand mit dem Po zuerst aus dem Fenster gehalten...

Die ungesicherte, meist einspurige Erdpiste schlängelt sich immer höher hinauf, auf der einen Seite begrenzt durch den Berg, auf der anderen Seite liegt offen die tiefe Schlucht. Plötzlich wird die holprige Fahrt mit einem kurzen Ruck unterbrochen. Inzwischen ist es Nacht geworden und wir sehen draussen Taschenlampen aufblitzen und hören das Rufen lauter Männerstimmen. Als wir aussteigen bietet sich uns ein wenig erfreuliches Bild: Ein grosser Haufen Steine und Erde haben sich über die Strasse verteilt, dazwischen wuseln blitzende Lichter geschäftig hin und her. Da ist kein Durchkommen, denkt sich der Europäer. Doch es werden ein paar Steine weggerollt, die ein Meter hohe Erde etwas umverteilt und festgetrampelt, bis der Busfahrer irgendwann keine Geduld mehr hat und aufs Gaspedal drückt. So rollt der Bus auf das Hindernis zu, schaukelt mal gefährlich nach links, mal nach rechts, aber die Dunkelheit lässt die tiefe Schlucht neben uns zum Glück nur erahnen und mit einem Ruck landen wir wieder auf der Strasse. Das wäre also geschafft und wir kurven den Berg hinab. Leider aber nicht lange, denn jetzt kommt der Berg erst so richtig in Bewegung. Tatsächlich versperrt kurze Zeit später eine zwei Meter hohe Wand aus abgerutschter Erde, Felsbrocken und Bäumen den Durchgang endgültig. Nun ist wirklich nichts mehr zu machen. Und schon rollt sich alles auf dem Sitz zusammen. Kurze Zeit später ertönt von allen Seiten ein rekordverdächtiges Schnarchkonzert, während wir uns noch fragen, wie wir die Nacht überstehen sollen ohne zu erfrieren.

Doch irgendwann vergeht auch diese Nacht und als wir aussteigen, um unsere verdrehten Glieder wieder einzurenken, bietet sich uns ein unbeschreibliches Bild: Eben noch in den kargen Anden finden wir uns inmitten dem lebendigen Nebelwald wieder. Hier treffen sich die Anden und der Amazonasurwald. Am Strassenrand wachsen blühende Orchideen, darüber ziehen dichte Nebelschwaden. Alles ist in einem kräftigen Grün gefärbt, an der steil abfallenden Talseite wächst dichter Urwald und weit unten hört man den Fluss rauschen. Während Jana begeistert mit der Kamera loshüpft, gesellt sich Philipp zu den wenigen Männern, die versuchen den riesigen Erdhaufen abzutragen. Als Philipp dann selbst zur Spitzhacke greift, ruft die Frau neben Jana begeistert: "Seht mal, der Gringo arbeitet!" und Jana wird von der Seite angestupst:"Das ist doch echter Abenteuerurlaub, oder?"

Doch bald stiehlt uns eine verfressene Kuh die Show, die erst heldenhaft über die verschüttete Strasse klettert, dann aber oberhalb des Erdrutsches super leckere Blätter erspäht. Das kann ich mir nicht entgehen lassen, denkt sie sich wohl, als sie immer höher den Berg hinaufklettert, immer die Zunge voran. Doch die Freude über das unerhoffte Futter hält nicht lange an, als der Berg wieder ein Stück nachgibt und die eben noch zufriedene Kuh plötzlich verdutzt in Richtung Abhang rutscht. Unter grossem Gelächter kann sie sich aber doch noch retten und verschwindet verschämt im Gebüsch.

Inzwischen konnten die Männer ein schmales, zwei Meter hohes Stück Erdhaufen einigermassen ebnen, so dass einige Autos gefährlich über das Hindernis holpern. Ein völlig durchgeknallter LKW Fahrer rattert plötzlich los, fährt ein Stück den Hügel hinauf, aber als ein Vorderrad schon haltlos über dem Abgrund hängt, sieht er endlich ein, dass er entweder abstürzt oder aufgeben muss. Irgendwann kommt dann ein Bagger angetuckert und erlöst uns von der Warterei. Nun geht die Fahrt weiter bergabwärts, der Nebel verzieht sich allmählich und gibt den Blick auf Bananenstauden, bunte Vögel, vereinzelte kleine Häuschen und eine Vielfalt von blühenden Pflanzen frei.

In Santa Maria angekommen gabelt uns ein kleiner Lastwagen (Camionetta) auf, wo wir auf der Ladefläche zwischen Lebens-, Haushaltsmitteln und tropfenden Benzinkanistern kräftig durchgeschüttelt werden. In Santa Theresa angekommen ziehen wir uns in einem freischwebenden Sitz, einer Art Lastseilbahnüber den reissenden Fluss . Nach einer weiteren Fahrt mit einem Camionetta sind wir endlich am Wasserkraftwerk, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung nach Aguas Calientes angelangt. Entlang der Bahnschienen stapfen wir gut gelaunt durch die eindrückliche Natur und kommen nach circa zweieinhalb Stunden vom Regen durchtränkt, aber zufrieden in Aguas Calientes an.

Am nächsten Morgen steht schon früh die nächste Wanderung den Berg hinauf nach Machu Picchu an. Nach eineinhalb Stunden Geschnaufe von Janas Seite und um 80 USD ärmer, passieren wir endlich das Eingangstor nach Machu Picchu. Unterwegs wurden wir von einem freundlichen Wuffi begleitet, das freudig neben uns herhüpfend nach Machu Picchu gewandert ist. Am frühen Morgen noch fast menschenleer, präsentiert sich uns Machu Picchu als fast mysthischer Ort. Die terassenförmig angeordneten Steinbauten sind in weissen Neben gehüllt. Eingebettet in die einmalige Natur bildet alles eine natürliche Einheit. Die schmalen, hohen, waldbewachsenen Berge bieten ein wirklich eindrucksvolles Panorama hinter den exaten Steinbauten der Inkastadt. Bei der Besichtigung treffen wir wieder auf unseren Machu Picchu Hund, der scheinbar interessiert die Gebäude besichtigt. Auf den historischen Steinwegen laufen lebendige Rasenmäher (kauende Lamas) auf und ab, die heutigen Bewohner der Inkastadt. Da die Stadt flächenmässig relativ klein ist, schaffen wir den Rückweg noch vor dem pünktlichen Einsetzen des Nachmittagregens.


Am nächsten Morgen als wir früh den Rückweg nach Santa Teresa antreten, sitzt am Fusse des Machu Picchu Wanderweges schon fröhlich der Machu Picchu Wuffi. So scheint der geschichtlich interessierte Hund wohl jeden Tag zu verbringen.

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