Vor vier Jahren haben wir uns beim gemeinsamen Reisen in Mittelamerika kennen gelernt. Seitdem können wir unsere Erlebnisse dort, die herzlichen Menschen, die unglaublich reiche Natur, die Musik und das Gefühl zu reisen einfach nicht vergessen. Und das wollen wir auch gar nicht. Nur eins steht fest: Wir müssen noch einmal nach Lateinamerika, denn einmal angefangen, ist das Reisen fast so etwas wie ein inneres Gesetz, man könnte es auch Fernweh nennen. Das ist einfach da, mal mehr, mal weniger und es hört erst wieder auf, wenn wir wieder da stehen, am Flughafen wie Schildkröten mit unseren Rücksäcken auf dem Rücken und dem Flugticket in der Hand, unsere Eintrittskarte in das Unbekannte. Dann sind wir nicht mehr Ingenieur oder Student. Dann sind wir Reisende, alles andere verschwimmt allmählich. Die Hektik und der Alltag liegen hinter uns und es ist, als würden wir ein Teil der Welt neu entdecken. Diesmal haben wir uns für Kolumbien und Peru entschieden. Semper, der selbst längere Zeit in Kolumbien gereist ist, beschreibt das Gefühl zu reisen so: „Ich konnte die fest geschriebenen und fest zementierten Denkgewohnheiten meiner Welt hinter mir lassen. Das tägliche Grauen aus hetzenden Menschen, Supermärkten, Verkehrsstaus, Parkplatzsuche, Handyklingeln und Fernsehbildern lag unendlich weit hinter mir. Amazonien war das Land, dem ich mich auslieferte. Alles war direkt, ohne Filter. Alles entstand neu." Drei Monate konnten wir uns diesmal frei nehmen. Diese Zeit liegt jetzt noch unbekannt vor uns und wir sind gespannt, mit welchen Erlebnissen sie sich diesmal füllen wird...

Sonntag, November 05, 2006

Auf dem Titikakasee

Der Titikakasee ist anderes, als wir ihn uns vorgestellt haben. Der See ist auf 3800m Höhe mitten in den Anden gelegen und somit der höchste navigierbare See der Welt (was auch immer das heissen mag). Die Umgebung ist sehr karg und am Rande der Hochebene zeichnen sich wenig spektakuläre, wenn auch sehr hohe Berge ab. Bei Sonnenschein ist das Wasser eisblau und wir haben bei dem rauhen Klima hier wenig Lust auch nur einen Zeh ins Wasser zu halten.

Mit einem Tourboot, das sich zwar Puma nennt, aber die Geschwindigkeit einer Schnecke hat, erreichen wir zunächst die "Islas flotatas", die eine weltweit einmalige Konstruktion sind. Rein aus einem zwei Meter dicken aufeinandergeschichteten Schilfrohrteppich bestehend, schwimmen die kleinen Inseln frei in der Schilflandschaft am Rande des Sees. Das Schlifrohr vermodert im See und muss immer wieder neu aufgeschichtet werden, was ganz praktisch ist, da man sich so das Staubsaugen erspart. Auch in anderer Hinsicht hat so eine Insel Vorteile: zerstreiten sich die Mitbewohner, wird die Insel eben einfach durchgeschnitten. Problem gelöst. Oder man stellt sein Schilfhaus auf ein Boot und setzt es kurzerhand auf der anderen Insel mit der hübschen Tochter wieder ab.

Heute gibt es aber nur noch ein paar hundert Menschen, die das ursprüngliche Leben auf den Inseln, versteckt im Schilfrohr führen. Die anderen Gemeinden haben sich den Tourismus zur Einnahmequelle gemacht und ihre kleine Insel nach diesen Bedürfnissen umfunktioniert. So werden wir freundlich winkend von Frauen in Trachten begrüsst und dürfen unsere neugierigen Touristenfüsse auf jeden Flecken der sanft federnen Insel setzen. Allerdings fühlen wir uns mehr wie in einem Museum, denn ihre Wohnhäuser haben die Menschen verständlicherweise auf einer anderen Insel. Eintritt wird nicht verlangt, dafür gibt es eine obligatorische Fahrt auf einem Reetboot zu einer anderen Insel.

Unglaublich, was man mit Schilf alles machen kann! Da werden Bänke, Stühle, Körbe, Häuser oder eben ganze Inseln gebaut. Ausserdem ist der weisse Teil des Schilfrohrs eine echte Delikatesse, finden jedenfalls die Einwohner.

Später tuckern wir stundenlang weiter durch den See, bis wir die in dem Fall natürliche Insel "Amantani", erreichen. Entgegen unseren Erwartungen ist leider auch hier ein grosser Teil des Lebens auf den Tourismus ausgelegt, aber mit etwas Phantasie gibt es noch Einiges zu entdecken, das ursprünglich ist. Jedenfalls gibt es auf der Insel weder Hotels noch Einkaufsläden und die Menschen leben sehr einfach und ursprünglich in enger und kooperativer Gemeinschaft.
Die Nacht verbringen wir bei einer Gastfamilie und unsere Gastmutter führt uns den Berg weit hinauf in ihr einfaches Zuhause, während sich Jana (noch leicht geschwächt) schnaufend den steilen Weg hinauf quält. Die Verständigung fällt leider etwas schwer, da sie die Indiosprache Quechua und nur wenig Spanisch spricht. Auf ihrem Platz in der dunkelen, rauchgeschwärzten Küche mit dem Erdboden kocht sie uns über dem Holzfeuer unser Essen und leckeren Cocatee.


Im Haupthaus liegen die wenigen Habseligkeiten wenig geordnet herum und es gibt weder fliessend Wasser noch Strom oder einen Ofen. Dafür bietet das Haus aber einen wunderschönen Blick über die Insel mit den schön angelegten Steinwegen und den weiten Titikakasee. Unsere Gasteltern haben zwei Töchter, die fast den gesamten Tag damit verbringen mit der knuffigen Babykatze zu spielen.

Ganz nach Philipps Geschmack stapfen wir durch den kalten Wind auf den höchsten Punkt der terrassenförmig aufgebauten Insel. Dorf befinden sich Reste einer alten Tempelanlage und in der Ferne sehen wir die weissen Schneespitzen der Berge Boliviens. Und würde der Wind nicht so kalt um unsere Kapuzen sausen könnt man meinen, wir wären am Mittelmeer in der Cinque Terre, mit den blühende Kakteen, Steinmauern und Gräsern. Jedes Stück Land ist mühsam von Hand für den Ackerbau vorbereitet. An uns zieht eine schwer beschäftigte schmatzende und malmende Schafherde vorüber.

Am Abend werden wir zwar übel touristisch, aber dennoch witzig in die einheimischen Trachten gesteckt und zur Dorfdisko geschleift. So löst sich auch endlich das Rätsel um die pummeligen Indiofrauen, die eigentlich garnicht dick sind, sondern nur sehr unvorteilhafte Röcke tragen. So hüpft Philipp mit seinem Poncho und einer Alpacaohrklappenmütze und Jana mit ihrem Pummelrock zur Livemusik der Dorfband durch den Raum.

Nach einer unglaublich kalten Nacht wärmen wir uns am nächsten Morgen in der inzwischen richtig gemütlich wirkenden Küche mit einem Cocatee und einem leckerem Frühstück auf, während draussen der Wind um das Häuschen pfeift.

Zurück auf dem Boot stellen wir fest, dass die Alpacamützen mit den Ohrklappen, die jetzt auf den Köpfen der Touristen fröhlich im Wind flattern, ein echter Verkaufsschlager waren. Dafür stehen wohl jetzt so einige Schafe frierend auf der Weide.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo Philip,

ich muss schon sagen, diese Mütze auf dem Bild macht mich richtig wuschig :-) Kannst Du mir sowas auch für meinen Thomas besorgen?
Und Jana, könntest Du mir einen dieser Röcke besorgen, unter denen jeder dick aussieht. Hätte dann eine schöne Ausrede für meinen jetzt schon vorhandenen Weihnachtspeck :-)

Einfach nur super die Geschichte, auf jeden Fall. Die Bilder muss ich unbedingt Thomas zeigen!

Weiter so!
Laura